Michael Roittner

Biografie als PDF mit Quellen und Literatur:
Michael Roittner vor dem Geschäft in der Getreidegasse, um 1905

Kaufmann, Obmann des Salzburger Turnvereins

* 11. Dezember 1874 in Salzburg

† 3. April 1956 in Salzburg

Straßenbenennung: Roittnerstraße, beschlossen am 23. Mai 1967

Lage: Schallmoos; westlich von der Sterneckstraße, östlich von der Robinigstraße abzweigend und nach Norden zur Röcklbrunnstraße führend.

 

Michael Karl Roittner kam am 11. Dezember 1874 in der Getreidegasse als zweites von sechs Kindern des Kaufmannes Michael Roittner und seiner Frau Hedwig Roittner, geborene Stiegensteiner, zur Welt. Er wurde am 20. Dezember in der Pfarre St. Blasius getauft. Michael Roittner senior war seit 1869 Gesellschafter der „Eisen- und Geschmeidewaarenhandlung (sic) L. Hertsberger & Compagnie“ in der Getreidegasse 7 / Universitätsplatz 15, die vier Jahre später in „Eisen- und Geschmeidewaarenhandlung (sic) M. Roittner“ umbenannt wurde und als deren alleiniger Inhaber Michael Roittner aufschien. Nach dem Tod des Vaters am 17. Februar 1905 traten die Brüder Michael, Heinrich und Josef das Erbe an und führten die Firma unter dem Namen „Gebrüder Roittner“ weiter. Sie erweiterten das Tätigkeitsfeld um ein Lagerhaus in der Bayerhamerstraße und erwarben zudem ein zweites Geschäftslokal in der Getreidegasse 8. Michael Roittner wohnte gemeinsam mit seiner 1875 geborenen Ehefrau Ludmilla, die er am 6. Juli 1904 in der Pfarrkirche St. Andrä geheiratet hatte, im 2. Stock des Stammhauses. Ludmilla Roittner war die Tochter des Salzburger Stadtbaumeisters Adalbert Wagner und die Schwester des ebenfalls als Stadtbaumeister tätigen Richard Wagner. Am 27. Juli 1910 kam die Tochter Hildegard zur Welt, die als junge Frau den Mitinhaber des Speditionsunternehmens Wildenhofer, Otto Mayer-Wildenhofer, heiratete. Die Familie Roittner kann als eine der bedeutendsten Familien des Geschäftsbürgertums in der Stadt Salzburg ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. Dies kommt in amtlichen Quellen häufig durch den Zusatz „Großkaufmann“ zum Ausdruck. Michael Roittner engagierte sich auch wirtschaftspolitisch als Zensor der Nationalbank und Mitglied des Salzburger Handelsgremiums, zudem besaß die Firma Gebrüder Roittner zwei Anteilsscheine des Salzburger Kunstvereins.

 

Der Salzburger Turnverein – deutschnational und antisemitisch

Bereits in jungen Jahren trat Michael Roittner dem 1861 gegründeten Salzburger Turnverein bei, seit 1895 gehörte er dem Turnrat an. Der Verein war seit den späten 1880er Jahren dezidiert deutschnational ausgerichtet, 1887 führte der Beschluss zur Aufnahme des „Arierparagrafen“ in die Satzung zum Austritt der liberalen Turner. Als Folge dieses rassistischen Schrittes kündigte die Stadtgemeinde Salzburg dem Verein die Nutzungsbewilligung der Realschulturnhalle auf, woraufhin der Turnverein am Giselakai die Jahn-Turnhalle errichtete. „Um nicht den Argwohn des Gemeinderates auf sich zu ziehen, wurde unter Obmann Dr. Otto Kilcher 1893 über einen Strohmann der Grund am Giselakai vom Architekten und Baumeister Jakob Ceconi erworben, der wiederum Abstriche vom Rechnungsbetrag gewährte. Am 16. April 1893 wurde im Rahmen einer kleinen Feier der Grundstein gelegt.“ Die Eröffnung der Turnhalle fand am 15. Oktober 1893 statt.

Michael Roittner wurde 1910 als Erster Obmann an die Spitze des Turnvereins gewählt, an dessen politisch-ideologischer Ausrichtung sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nichts geändert hatte. Noch zum 100-jährigen Jubiläum des Vereins im Jahr 1961 schrieb der Chronist und Turnbruder Albert Schmidjell über die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen: „Aber nicht nur in der turnerischen Arbeit knüpfte der Verein Erfolg an Erfolg, sondern auch seine Stellung im Kampf um eine völkische Gesinnung, sein immer wieder in aller Öffentlichkeit abgelegtes Bekenntnis zum deutschen Volkstum, seine in Wort und Schrift zum Ausdruck gebrachte Hingabe an all jene Werte, die den Fortbestand unserer Heimat gewährleisten und sichern, verhalfen dem Verein zu jener Anerkennung, die ihm aus allen Schichten der volksbewußten Bevölkerung unserer Stadt entgegengebracht wurde.“ In den 1920er Jahren turnten die Mitglieder des Vereins nicht nur in der vereinseigenen Turnhalle am Giselakai, sondern erneut im Turnraum der Realschule und zudem in der Andräschule. In seiner Sitzung vom 14. Juli 1924, der letzten vor der Sommerpause, debattierte der Gemeinderat der Stadt Salzburg, dem Salzburger Turnverein die Nutzungsbewilligung der Räume in der Andräschule zugunsten des Arbeiter-Turnvereins und des Christlich-Deutschen Turnvereins zu entziehen. Das Protokoll dieser Sitzung liest sich lapidar: „Antrag des Referenten bezw. des Ausschusses IV und des Hauptausschusses: 11 Stimmen dagegen (das sind die Grossdeutschen und die Nat.Sozialisten) und 23 Stimmen dafür (das sind die Christl.Soz. und Soz.Demokraten) somit ist der Ref.Antrag mit entscheidender Mehrheit angenommen und diese Sache erledigt. Die Herren der grossdeutschen und der nat.soz. Partei verlassen den Sitzungssaal. (Um 8 Uhr abends!)“ Tatsächlich handelte es sich bei dieser Sitzung um eine äußerst hitzige Debatte. Das „Salzburger Volksblatt“ ergriff am darauffolgenden Tag auf Seite 1 und 2 unter dem Titel „Die Turnhallenfrage im Gemeinderate“ die Partei der Großdeutschen und Nationalsozialisten. Es zitierte den nationalsozialistischen Gemeinderat Dr. Otto Troyer, selbst Turnbruder, der ausführte, „dieser Vorfall sei ein Glied in einer Kette verschiedener Vorfälle, die zeigen, daß nun ein ganz anderer politischer Wind weht, daß alles international eingestellt sei und alles Nationale niedergedrückt und vergewaltigt werden solle“. (Von einer „Vergewaltigung“ des Salzburger Turnvereins war in dieser Auseinandersetzung mehrfach die Rede.) Auf die Berichterstattung des „Salzburger Volksblattes“ konterte die „Salzburger Chronik“ am 16. Juli in ihrem Artikel „Obstruktion im Salzburger Gemeinderate“, der die ersten 1½ Seiten der Zeitung einnahm. Als Folge der politischen Entscheidung ging der Salzburger Turnverein daran, in der Rupertgasse in Schallmoos ein zweites Vereinslokal zu errichten, dessen Grundstein am 5. April 1925 gelegt und das im Mai 1927 feierlich eröffnet wurde. In der Jahreshauptversammlung des Vereins am 15. März 1927 war bereits beschlossen worden, die neue Turnhalle nach dem Obmann Michael Roittner zu benennen. In die Zeit der Obmannschaft von Michael Roittner fiel außerdem nicht nur die Gründung der Schwimmvereinigung „Wiking“, sondern 1926 auch die Einführung des Wehrturnens, einer paramilitärischen Ausbildung der Turner. Nachdem Michael Roittner „unter stürmischem Jubel der Versammlung“ am 31. März 1933 erneut zum Obmann des Salzburger Turnvereins gewählt worden war, veranstaltete die Vereinigung am 16. Dezember desselben Jahres ein Werbeturnen im Festspielhaus, das unter dem Titel „Turnen ist Volkstum!“ stand und zugleich als „Feier des 60. Geburtstages für Vereinsobmann Michael Roittner“ begangen wurde. (Roittner feierte nicht seinen 60. Geburtstag, sondern vollendete am 11. Dezember 1933 sein 60. Lebensjahr.) „Zur Mitwirkung wurden Heimatdichter Otto Pflanzl und Professor Sepp Piffrader gewonnen“, so die Ankündigung im „Salzburger Volksblatt“. Während Otto Pflanzl Ende 1933 noch Mitglied der Großdeutschen Volkspartei war, war Sepp Piffrader bereits 1932 der NSDAP beigetreten. „Die Vortragsfolge, die sich von ähnlichen früheren Veranstaltungen dadurch im wesentlichen (sic) abhob, daß sie von einer Feierlichkeit untermalt war, die dem verdienstvollen Vereinsobmann galt, wies als Mitwirkende Heimatdichter Pflanzl und Prof. Piffrader auf. Ersterer brachte einen selbstverfassten Vorspruch und umrahmte die von Prof. Piffrader zusammengestellten turnerischen Bilder mit erhebenden Begleitworten.“ Die angesprochenen Bilder waren den Themen Alter, Jugend, Krieg und Turnhallenbau gewidmet. „Die deutschnationalen Turnvereine, die auch viele Sportarten anboten, waren eine große Verlockung für sportbegeisterte Menschen. Über den Sport wurde gleichzeitig die Ideologie vermittelt, die, gewollt oder ungewollt, ein dichtes Milieu aufbaute, das die Mitglieder prägte und reif für den Nationalsozialismus machte“, so Ernst Hanisch.

 

Von der Großdeutschen Volkspartei zur NSDAP

Neben seinem Engagement im Turnverein war Michael Roittner nach dem Ersten Weltkrieg auch parteipolitisch aktiv. Er trat bei der Landtagswahl vom 9. April 1922 hinter Max Ott und Dr. Anton Gumpelmayer (Beamter der Allgemeinen Pensionsanstalt für Angestellte) als Listendritter im Wahlbezirk Salzburg-Stadt für die Großdeutsche Volkspartei an. Aufgrund des Wahlergebnisses zog Roittner jedoch nicht in den Landtag ein. Noch im Jahr 1932 gehörte er der am 18. Februar desselben Jahres gewählten Gauparteileitung der Großdeutschen Volkspartei Salzburg an, die aus 28 Personen bestand. Wie der Großteil der ehemaligen Großdeutschen wechselte Michael Roittner aber um 1933 in das Lager der NSDAP. Im April des Jahres hielt der Salzburger Turnverein im Kurhaus eine Feier zu Ehren von Otto von Bismarck ab, bei der die Machtübernahme der NSDAP in Deutschland beherrschendes Thema war. „Der Massenbesuch aus allen Kreisen der Bevölkerung, die frohe Zuversicht in allen Gesichtern, legten Zeugnis ab, daß die nationale Erhebung auch hierzulande im stürmischen Vormarsch ist“, wusste das „Salzburger Volksblatt“ zu berichten. Obmann Michael Roittner begrüßte unter den Anwesenden neben Bürgermeister Max Ott „Bundesrat Gauleiter Scharizer, sowie zahlreiche Gemeinderäte und Führer der N.S.D.A.P, der S.A., S.S. und die Vertreter sämtlicher völkischen Vereine Salzburgs“. In den folgenden Ansprachen wurde aus der Bismarck- eine Hitler-Feier. Ein Redner beendete mit „einem ‚Sieg-Heil’ auf Bismarck und Adolf Hitler (…) unter brausendem Jubel seine Ausführungen“. Die Veranstaltung „wurde nach einem kurzen Schlußworte des Obmannes Michel (sic) Roittner mit dem Deutschlandliede geschlossen. Die erhebend verlaufene Bismarckfeier sah deutlicher denn je die bündischen Turner mit den Braunhemden in einer Front.“

Inwiefern sich Michael Roittner in den folgenden Monaten – insbesondere nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 – politisch engagierte, ist nicht bekannt. Die illegalen Parteianhänger versuchten jedenfalls, mit Stör- und Propagandaaktionen sowie mit Sachbeschädigungen die politische Ordnung in Österreich zu destabilisieren, woraufhin die österreichische Bundesregierung am 12. Jänner 1934 die Verordnung über die Ersatzleistung für Schäden aus Terrorakten erließ. In diesem Zusammenhang geriet nun auch die Familie bzw. die Firma Roittner ins Visier der lokalen Behörden. Mit Bescheid der Salzburger Sicherheitsdirektion vom 12. Juli 1934, also knapp zwei Wochen vor dem Putschversuch, wurde der Eisengroßhandlung der Gebrüder Roittner ein „Kostenbeitrag von S 10.000,- zur Ersatzleistung an die Sicherheitsdirektion in Salzburg vorgeschrieben. Den Anlass der Vorschreibung bilden Kostenersätze für diverse Sachschäden, die durch zahlreiche nationalsozialistische Terror- und Propagandaaktionen im Überwachungsgebiet der Bundespolizeidirektion Salzburg während des Jahres 1934 verursacht worden waren.“ Die Brüder Roittner erhoben bei der Sicherheitsdirektion Einspruch gegen den Bescheid und mobilisierten offensichtlich auch ihre Kontakte zur Vaterländischen Front, denn die Landesleitung Salzburg intervenierte wiederholt bei Staatssekretär Baron Hans Hammerstein-Equord in Wien zugunsten der Roittners, um die Angelegenheit „im günstigen aufrechten Sinn zu erledigen“. Der Landesleitung zufolge wären „gerade die Chefs der Firma nie Mitglieder der NSDAP“ gewesen, sie hätten sogar „im Gegenteil, immer auf die Jugend beruhigend einwirken und vielfaches Unheil durch ihre Einflußnahme“ verhindern können. Hinter dieser Fürsprache standen auch finanzielle Interessen. „Gesellschaftlich genießt die Firma den allerbesten Ruf, gehört zu den größten Steuerzahlern und ist bei Bezahlung pünktlich wie die Uhr. (…) Aus all diesen Gründen und auch aus Gründen der Befriedung und der allgemeinen uns so nottuenden Aufbauarbeit“ wiederholte die Landesleitung ihre Bitte um wohlgefällige Erledigung der Angelegenheit. Zur Unterstützung führte sie Informationen über die Firma Roittner an, die ihr von der Sicherheitsdirektion telefonisch im Oktober 1934 mitgeteilt worden waren: „(…) Die Firmeninhaber als auch die Angestellten der Firma waren stets großdeutsch gesinnt, die Angestelltenschaft war durchwegs im DHV (Deutscher Handelsgehilfenverband) organisiert. Seit dem Erstarken der NSDAP sind sowohl die Firmeninhaber als auch ihre Angestellten ins nationalsozialistische Lager hinüber geschwenkt. Drei Angestellte mussten in ein Anhaltelager abgegeben werden, zwei wurden wegen Böllerwerfens bestraft. Die Firmeninhaber selbst sind aktiv politisch in den letzten Jahren nicht hervorgetreten, auch war es offensichtlich, dass sie allzu radikale Elemente ihrer Beamten (?) und Angestellten abbauten. Allerdings sollen sie sich öfters geäußert haben, es sei nicht von Vorteil, politisch vorbestrafte junge Leute sofort auf die Straße zu setzen, da diese dann unweigerlich dem Radikalismus anheimfielen. Während der Julitage (NS-Putschversuch im Juli 1934; Anm. d. Verf.) war das Verhalten der Firmenchefs einwandfrei, nichtsdestoweniger wurde der Firma vorsichtshalber der Sprengmittelverschleiß entzogen, die Sperre dieses Geschäftszweiges von der Bundespolizeidirektion Salzburg angeordnet und die Sprengmittelmaterialien in den Gewahrsam der Polizei gebracht.“ Trotz dieser eher wohlwollend formulierten Einschätzung blieb die Sicherheitsdirektion Salzburg bei ihrer Haltung, in einem Schreiben an das Bundeskanzleramt führte sie aus, dass die Firma Gebrüder Roittner „nicht nur einer der größten Handelsbetriebe Salzburgs“ sei, „sondern auch derjenige, der durch die eindeutige politische Einstellung des Großteils der Angestellten am meisten disqualifiziert ist. Dementsprechend und im Hinblicke auf die finanzielle Potenz der Inhaber mußte mit der Vorschreibung eines größeren Betrages vorgegangen werden und muss diese dem Maße der moralischen Verantwortlichkeit als durchaus angepasst und als tragbar bezeichnet werden. Es darf schließlich nicht unerwähnt gelassen werden, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung die Firma Roittner als nationalsozialistische Hochburg bezeichnet, ihre Heranziehung zur Ersatzleistung der gewaltigen Terrorschäden in Salzburg längst erwartet hat und über die bekannt gewordene Vorschreibung lebhaft Genugtuung geäußert hat.“ Am Ende wurde eine österreichische Lösung gefunden: Die Brüder Roittner zogen im November 1934 ihren Einspruch zurück und verpflichteten sich „zum Zwecke der Ersatzleistung für Terrorschäden eine freiwillige Spende von S 7.000,- zu leisten“. Dass die Firma den Ruf einer „nationalsozialistischen Hochburg“ in Salzburg hatte, gründete wohl primär auf der Tatsache, dass sowohl die Firmeninhaber als auch der überwiegende Teil der Angestellten als NS-affin galten. Einer der führenden Männer der in Salzburg 1932 gegründeten Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO), der Vorläuferorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF), war Franz Mayr. Er arbeitete bei der Firma Roittner und führte die Betriebszelle „Eisen“ an. Im Jänner 1933 stieg Mayr zum Gaubetriebszellen-Propaganda- und Presseleiter auf und engagierte sich auch in der Zeit des Parteiverbots für die NS-Betriebspolitik.

 

Private Schicksalsschläge

Bei der Hauptversammlung am 19. Mai 1937 legte der 62-jährige Michael Roittner sein Amt als 1. Obmann des Salzburger Turnvereins zurück. „Die einstimmige Wahl zum Ehrenobmann und die Verleihung des Goldenen Ehrenringes sind nur eine bescheidene Anerkennung für ein Leben, das im wahrsten Sinne des Wortes dem Salzburger Turnverein gewidmet war“, so der Chronist. Formal wurde der Salzburger Turnverein nach dem „Anschluß“ im Sommer 1938 in den Reichsbund für Leibesübungen überführt, die einzelnen Gruppen wurden zum Deutschen Turnerbund Salzburg zusammengeschlossen. Für seinen langsamen Rückzug aus dem öffentlichen Leben waren wohl auch einschneidende Ereignisse aus Michael Roittners Privatleben in den 1930er Jahren verantwortlich. Nachdem seine ältere Schwester Hedwig, verheiratete Karl, am 4. Februar 1931 mit 59 Jahren gestorben war, traf ihn der Tod seiner Ehefrau Ludmilla am 7. Dezember 1934 schwer. Sie war „nach langem Leiden, jedoch unerwartet schnell“ mit ebenfalls 59 Jahren gestorben. Drei Jahre später verschied am 11. September 1937 auch sein Bruder und Geschäftskompagnon Josef Roittner im 57. Lebensjahr an den Folgen eines Schlaganfalls. Dessen Witwe Elisabeth Roittner, geborene Moser, übernahm die Teilhaberschaft an der Firma und wurde Mitbesitzerin der Liegenschaften in der Getreidegasse. Und schließlich verstarb am 24. Dezember 1938 der vierte Bruder Albert, der als Apotheker in der St.-Johanns-Spitals-Apotheke nicht Teilhaber der Firma war, im 61. Lebensjahr.

 

NS-Zeit

Zweieinhalb Monate nach dem „Anschluß“ stellte Michael Roittner am 1. Juni 1938 den Antrag um Aufnahme in die NSDAP. Er wurde rückwirkend mit 1. Mai 1938 und der Mitgliedsnummer 6.344.445 aus dem „Illegalenblock“ aufgenommen. Von Aktivitäten Michael Roittners für die verbotene NSDAP in Salzburg ist nichts bekannt, seine Funktion und Tätigkeit im Salzburger Turnverein in dieser Zeit sind aber eindeutig als pro-nationalsozialistisch zu bewerten. Auch die anderen Familienmitglieder beantragten die Aufnahme in die NSDAP und wurden Parteimitglieder, so seine Brüder Albert und Heinrich, die Schwägerin Elisabeth, die gleichnamige Nichte sowie die Neffen Herbert und Richard Roittner. Zwei Tage nach seinem Parteiansuchen trat Michael Roittner am 3. Juni 1938 aus der katholischen Kirche aus und in die evangelische Glaubensgemeinschaft ein. Neben diesen beiden Vorgängen konnten lediglich drei Ereignisse aus Roittners Leben in der NS-Zeit rekonstruiert werden:

Unmittelbar nach der NS-Machtübernahme in Österreich wurde der Magistratskommissär Dr. Georg Rainer „unter Belassung der bisherigen Bezüge, vorläufig bis auf weiteres, außer Dienst gestellt“. Amtsintern wurde seine Vergangenheit als Landessekretär der Ostmärkischen Sturmscharen, insbesondere sein Verhalten im Zusammenhang mit der Besetzung der Turnhalle des Turnvereins am Giselakai durch die Sturmscharen nach dem Juliputsch 1934 durchleuchtet. Michael Roittner gab am 6. Mai 1938 zu Protokoll, seinerzeit von Rainer in der Turnhalle empfangen worden zu sein. Dieser habe ihm eine Inventurliste übergeben und alle Kästen und Läden versperrt. In der Folge seien letztere jedoch aufgebrochen worden, weshalb Roittner Anzeige gegen Georg Rainer wegen Diebstahls erstattet habe. Über Konsequenzen für Rainer findet sich nichts im Personalakt. Die internen Erhebungen des Magistrats gegen Rainer im Frühjahr 1938 wurden nach einer Rücksprache mit der Kreisleitung der NSDAP im Juni abgeschlossen und Rainer mit 1. Juli 1938 wieder in den Dienststand des Magistrats aufgenommen.

Im Sommer 1939 feierte Michael Roittner sein 50-jähriges Berufsjubiläum. Aus diesem Anlass organisierten die Angestellten unter Führung des Betriebsobmanns der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und Parteigenossen Hermann Ledenik eine Feier, bei der eine von der Gefolgschaft gestiftete und im Hof des Gebäudes angebrachte Marmortafel enthüllt wurde, die sämtliche Besitzerinnen und Besitzer des Hauses Getreidegasse 7 seit dem 15. Jahrhundert auflistete. Bei der anschließenden Festtafel im Stieglkeller war nicht nur „die gesamte Betriebsgemeinschaft“ anwesend. „Der Gesellschafter der Firma, Pg. Bösmüller, konnte als Gäste den Kreisbeauftragten der DAF Pg. Deutner, den Vertreter des ehemaligen Landes-Hauptschießstandes Direktor Passer, von der Ortsgruppenleitung die Pg. Nübel und Quell, den Vertreter der Kaufmannschaft, Gruppe Einzelhandel, Pg. Denkstein, den Ortswalter der DAF Pg. Schüller, die Vertreter des Salzburger Turnvereines Pg. Pöckl und Großbauer, und viele andere begrüßen.“ In kurzen Ansprachen beglückwünschten die Genannten den Geehrten, wobei Sepp Quell im Namen des Turnvereines und Hans Nübel für die Ortsgruppe Altstadt sprach. „Der Jubilar dankte für alle Ehrungen und Glückwünsche, berichtete von den Sorgen und Nöten langer Jahre. Er sprach über die Entwicklung des Hauses, dankte allen seinen Mitarbeitern und erinnerte daran, daß seine Arbeitsleistung nicht zuletzt dadurch ermöglicht war, weil ihm eine verständnisvolle, herzensgute Frau – zur Seite stand.“ Zur Unterstützung der Gefolgschaftsmitglieder stiftete die Firma an diesem Abend den „Michael-Roittner-Fonds“. Über politische Inhalte der Feier, bei der die mittlere Funktionsträgerschicht der Partei und des Wirtschaftslebens der Stadt Salzburg anwesend war, wurde im „Salzburger Volksblatt“ nichts berichtet. Dies gilt auch für eine Ehrung vier Jahre später. Gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich und weiteren Turnern erhielt Michael Roittner bei der Mitgliederversammlung des Turnvereins im August 1943 in Anwesenheit von Kreisleiter Burggaßner und Sportkreisführer Sepp Quell das Ehrenzeichen für 50-jährige Mitgliedschaft.

 

Entnazifizierung

Am letztmöglichen Tag, dem 31. Mai 1946, gab Michael Roittner bei der Kartenstelle Altstadt sein Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten ab. Darin gab er an, „von Mai 1938 bis April 1945“ Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. Er legte ein „Gesuch“ bei, dessen Inhalt als Standardschreiben in Entnazifizierungsverfahren gelten kann, um rasch von den Listen gestrichen zu werden: „Ich ersuche um Nichtregistrierung und erkläre, dass ich durch meine Zugehörigkeit zur NSDAP keinen Nutzen, keine Vorteile und nie die Absicht hatte mir irgendwelche Begünstigungen zu erwerben. Ich erkläre ferner, dass ich nie die Absicht hatte jemanden zu schädigen und nach meinem besten Wissen auch Niemand (sic) geschädigt habe.“ Weitere Schriftstücke liegen dem Akt nicht ein. Michael Roittner wurde gemeinsam mit seinem älteren Bruder Heinrich per Verfügung vom 25. August 1947 als minderbelastet eingestuft.

 

Nachkriegszeit

Michael Roittner stand auch nach Kriegsende weiterhin dem Familienbetrieb vor, mit dem Salzburger Turnverein blieb er bis zu seinem Lebensende eng verbunden. Der Verein war wegen seiner eindeutigen politischen Positionierung 1945 zwangsweise aufgelöst und die beiden Turnhallen beschlagnahmt worden. Im Frühjahr 1951 wurde er wieder zugelassen, im November des darauffolgenden Jahres erhielt der Turnverein sein Gebäude am Giselakai zurück. Am 30. Juni 1953 gab die US-amerikanische Besatzungsmacht schließlich auch die Roittner-Turnhalle an Vertreter des Vereins, darunter der Ehrenobmann Michael Roittner, zurück. Bei der am 5. März 1954 erfolgten feierlichen Wiedereröffnung enthüllten Mitglieder des Turnvereins eine Gedenktafel mit dem Spruch „Das Leben ist nichts ohne Treue. 1927 + 1954“.

Michael Roittner starb am 3. April 1956 mit 81 Jahren in Salzburg und wurde im Familiengrab auf dem Kommunalfriedhof beigesetzt. Seit 2016 verleiht der Salzburger Turnverein den Ehrenring von Michael Roittner. „Dieser Ring wurde einst Michael Roittner selbst, einem der verdientesten Obmänner des Salzburger Turnvereins, verliehen. Daraus entstand die Tradition, einen solchen Ring an Amtsträger weiterzugeben, die durch ihren überdurchschnittlichen Einsatz für den Verein sowie die Liebe zum Turnen herausragend im Bewußtsein der Turngeschwister verewigt sind. Leider ist der dafür geschaffene Ring verschollen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, das Original aus dem Nachlass von Michael Roittner auf Lebenszeit zu verleihen.“

Die Firma Gebrüder Roittner entwickelte sich zu einem Handelsbetrieb weiter, der bis in die 1990er Jahre bestand und von Richard Roittner, dem Sohn von Josef Roittner, und zuletzt von dessen gleichnamigem Sohn geführt wurde. Das Unternehmen existiert heute nicht mehr. Im Jahr 2000 wurde die Privatstiftung Richard Roittner und Dr. Heinz Roittner gegründet.

 

Straßenbenennung

Anfang 1965 erörterte das Kulturamt die Benennung mehrerer Verkehrsflächen in der Stadt Salzburg. Für den heute nach Michael Roittner benannten Straßenzug stand ursprünglich die Benennung nach einem nicht näher spezifizierbaren Breuninger im Raum. Landesarchivdirektor Dr. Herbert Klein sprach sich in einem Brief an das Kulturamt der Stadt Salzburg jedoch für die Benennung in „Spänglerstraße“ nach dem bekannten Handelsgeschlecht aus. Auf diesem Schreiben legte Amtsrat Walter Strasser einen Amtsvermerk an, wonach in seiner Abteilung „aus dem Straßenverzeichnis festgestellt“ worden war, „daß bereits ein Spenglerweg und eine Rudolf-Spängler-Straße existieren. Hofrat Dr. Klein wurde telef. gebeten, einen weiteren für das Gebiet in Schallmoos passenden Namen (allenfalls auch Salzburger Bürgergeschlecht) vorzuschlagen.“ Ob Klein dieser Bitte nachkam, ist nicht überliefert. Jedenfalls erreichte den Salzburger Bürgermeister Kommerzialrat Alfred Bäck wenige Monate später ein Schreiben des Salzburger Turnvereins folgenden Inhalts: „Durch 27 Jahre hat der allseits geachtete und hochangesehene Kaufmann Michael Roittner als Obmann des Salzburger Turnvereines gewirkt. Am 3. April 1966 jährt sich sein Todestag vor 10 Jahren. Gestatten Sie uns, daß wir eine Anregung vorbringen, von der wir annehmen, daß sie auch Ihre Zustimmung findet: es würde dem Gedenken an diesen wahrhaft verdienstvollen Manne würdig sein, wenn die Stadt Salzburg eine Straßenbezeichnung nach seinem Namen durchführen würde.“ Jene Eckpunkte der Biografie von Michael Roittner, die in allen weiteren Schritten bis zur Benennung und in den gedruckten Verzeichnissen zu Salzburgs Straßennamen bis in die Gegenwart die Grundlage zur Charakterisierung des Straßennamengebers bilden, wurden in diesem Schreiben ausgeführt: „Michael Roittner wirkte nicht nur als Obmann des STV [Salzburger Turnvereins; Anm. d. Verf.] seit dem Jahre 1910 und hat den Verein zu dem bedeutendsten Leibesübung treibenden Verband der Stadt Salzburg geführt, sondern er war auch tätig als Schützenmeister des Landeshauptschießstandes, als Zensor der Nationalbank und als Mitglied des Handelsgremiums durch viele Jahre. Seine öffentliche Bedeutung liegt auch in seiner Persönlichkeit als hochangesehener und allseits geachteter Kaufmann in der besten Tradition seines Berufsstandes, in seinem sozialen Wirken gegenüber einer zahlreichen Mitarbeiterschaft seines Betriebes und seiner charakterlichen unantastbaren Haltung in seinem langen Leben.“ Die Vertreter des Turnvereins legten daher nahe: „Herr Bürgermeister, der Verein würde eine Ehrung in der bezeichneten Form einer Straßenbenennung nach Michael Roittner als Anerkennung eines verdienstvollen Salzburgers ersehen und die Bevölkerung der Stadt würde seinen Namen als angenehme und zustehende Erinnerung empfinden.“ Die Eingabe des Turnvereins blieb im Kulturamt offensichtlich in Evidenz, denn die Vertreterin und Vertreter im Unterausschuss für Straßenneubenennungen – die Gemeinderäte Herbert Glaser (ÖVP, Vorsitz), Rudolf Arnold (ÖVP) und Adolf Merz (SPÖ), die Gemeinderätin Thilde Erlach-Rybak (FPÖ), Dr. Herbert Klein (Salzburger Landesarchiv) und Amtsrat Josef Schaubeder (Vermessungsamt der Stadt Salzburg) – debattierten am 26. Jänner 1967 eine größere Zahl an Vorschlägen, die vom Kulturamt schließlich mit Datum vom 3. März 1967 in einem Amtsbericht zusammengefasst wurden. Darin enthalten ist in Schallmoos ein „Straßenzug westlich Robinigstraße“, der den Namen „(‚Michael)-Roittner-Straße‘ (Salzburger Kaufmann und Obmann des Salzburger Turnvereins)“ erhalten sollte. Die dem Amtsbericht beigefügte Legende führte über Michael Roittner aus: „Hochangesehener Salzburger Kaufmann, war ab 1910 27 Jahre lang Obmann des Salzburger Turnvereins, ferner auch Schützenmeister des Landeshauptschießstandes, Zensor der Nationalbank und viele Jahre Mitglied des Handelsgremiums. Sein soziales Wirken gegenüber der zahlreichen Mitarbeiterschaft seines Betriebes war vorbildlich.“ Bereits beim Treffen des Unterausschusses einigten sich die Beteiligten auf den später beschlossenen Namen „Roittnerstraße“. Der Kulturausschuss nahm in seiner Sitzung am 11. April 1967 sämtliche Vorschläge des Amtsberichts an und leitete diese zur Beschlussfassung an den Stadtsenat weiter. Nach einstimmigem Antrag im Stadtsenat am 8. Mai beschloss der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 23. Mai 1967 einstimmig (11 SPÖ, 13 ÖVP, 6 FPÖ, 1 KPÖ) die Benennung der „Roittnerstraße“.