Quelle: Photograph by Gakuro 2006, GFDL

Die jüdische Gemeinde Salzburgs - Neubeginn 1945

Nachkriegsjahre und Wiederaufbau

Jüdisches Selbstverständnis nach 1945

Leben und Identität nach der Shoah

In der Geschichte nach 1945 wirkten generell zwei Faktoren ganz wesentlich auf die Konstituierung bzw. den Wandel jüdischer Identitäten ein: einerseits die traumatische Erfahrung der Shoah, andererseits die Staatsgründung Israels. Verbunden damit war unweigerlich die Frage: Wie und wo nach Auschwitz leben? Das „Erbe“, das Überlebende mitzutragen hatten, war geprägt von Demütigung, Verfolgung, Entwürdigung und Ermordung. Viele erhofften sich daher von der Gründung eines jüdischen Staates die Vermittlung einer positiven Identität. Der 1948 ausgerufene israelische Staat wurde nicht nur als letzte Zufluchtsmöglichkeit im Falle einer neuen Verfolgung empfunden, er galt auch als Beweis für jüdische Lebensfähigkeit, für eine Zukunft nach der Shoah.

Zugleich mussten Überlebende nach 1945 vielfach feststellen, dass der Holocaust den Antisemitismus nicht beseitigt hatte, im Gegenteil: Gerade in Osteuropa – im Baltikum, in Polen, der Sowjetrepublik Ukraine, der damaligen Tschechoslowakei, in Ungarn oder Rumänien – wurden die jüdischen Überlebenden bei der Rückkehr aus den Lagern, ihren Verstecken oder Fluchtländern von einem ungebrochenen und teils gewalttätigen Antisemitismus empfangen. In Polen wurden nach der Befreiung bis 1947 Hunderte Juden ermordet, als das bekannteste Negativ-Beispiel hierfür gilt das Pogrom von Kielce 1946. Zudem kam es auch in der Slowakei und Ungarn 1946/47 zu Pogromen. Diese erneuten Gewalterfahrungen, die materielle Not und die sich langsam abzeichnende kommunistische Machtübernahme bewogen bis 1948 eine Viertelmillion Holocaust-Überlebende dazu auszuwandern, insbesondere in die USA und ins damalige Palästina. In vielen Fällen war ihnen dies nur über den Weg in die westlichen Besatzungszonen in Deutschland und Österreich möglich – stellte dies auch eine Rückkehr in das Land der Täter dar und trafen sie auch hier, als so genannte Displaced Persons, erneut auf Misstrauen und antisemitische Einstellungen.

Neubeginn in Salzburg

Wenig überraschend gestaltete sich der Neubeginn nach 1945 für Juden und Jüdinnen in Salzburg alles andere als einfach. Auch nach der Befreiung aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern war der Tod Teil des Alltags. Viele Überlebende starben unmittelbar danach, viele schwangere Frauen erlitten als Folge der KZ-Haft Totgeburten. So wurde in Salzburg als einer der ersten jüdischen Vereine die Chewra Kaddischa, der Beerdigungsverein reaktiviert. Neben den vielen Beerdigungen wurden aber auch wieder Hochzeiten, mitunter sogar Massenhochzeiten, abgehalten. Viele Überlebende heirateten überstürzt und nicht unbedingt aus Liebe, sondern um nicht allein bleiben zu müssen und um eine Art Ersatz für ihre ermordeten Familien zu finden. Dies drückte sich auch in einer hohen Geburtenrate in den ersten Nachkriegsjahren aus: Kinder wurden zum Symbol für neues Leben, für eine jüdische Zukunft trotz des Erlittenen.

Ein Großteil der jüdischen Überlebenden, die sich unmittelbar nach der Befreiung in Salzburg aufhielten, waren wie erwähnt Displaced Persons. In der Stadt Salzburg gab es mehrere jüdische DP-Lager, die weitgehend selbstverwaltet waren. 1946 wurde für die amerikanische Besatzungszone auch die Gründung eines Jüdischen Zentralkomitees mit Sitz in Linz genehmigt. Es setzte sich aus Vertretern der einzelnen DP-Lager zusammen. (Einer seiner prominentesten Vertreter war der damals in Linz lebende Simon Wiesenthal.)

Dieses Zentralkomitee war umso wichtiger, da die jüdischen Überlebenden, deren alte Kommunikations- und Solidaritätsnetze durch den Nationalsozialismus zerstört waren, kaum Unterstützung von anderer Seite erhielten. Selbst das erste österreichische Opferfürsorgegesetz von 1945 schloss „nur“ wegen ihrer Abstammung verfolgte österreichische NS-Opfer von Fürsorgemaßnahmen aus. In Wien bildete sich daher das ,,Aktionskomitee der jüdischen KZler“, das die Aufnahme der jüdischen Opfer in den ,,Bundesverband der politisch verfolgten Antifaschisten“, kurz KZ-Verband, erkämpfte. Mit dessen Hilfe wurden Juden zu politisch Verfolgten, worauf sie ab 1946 Opferfürsorge beziehen konnten.

Alleingelassen fühlte man sich überdies von der Katholischen Kirche. Der damalige Salzburger Erzbischof Andreas Rohracher bemühte sich vielmehr nicht nur um ehemalige Nationalsozialisten, sondern sogar um die Freilassung ehemaliger NS-Verbrecher. Seinen Ausdruck fand dies in dem mit ihm in Verbindung stehenden Schlagwort vom „Unter-den-Beichtstuhl-Kriechen vieler Nazis“.

Nach 1948

1948, mit der Gründung des Staates Israel, verließ der Großteil der jüdischen Flüchtlinge Österreich. Die meisten DP-Lager wurden aufgelöst, und es blieben nur noch einige Sammellager, hauptsächlich für Alte und Kranke, denen eine Weiterreise nicht zugemutet werden konnte. Nur einige Tausend ließen sich in Österreich – an die 200 in Salzburg – nieder und verhinderten dadurch den endgültigen Tod der jüdischen Gemeinden. Sie sprachen unterschiedliche Sprachen, gehörten verschiedenen sozialen Schichten an, waren streng religiös oder auch atheistisch. Verbunden waren sie durch ihr gemeinsames Schicksal und ihr Fremdsein in Salzburg.

Literaturempfehlung
  • Helga Embacher, Neubeginn ohne Illusionen, in: Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien / Köln / Weimar 1993, 285–336.